Foto by Nils Jöhnk
Model:
Sir Isaac, Newton the Nude & Hamlet / Hairless Dogs
Model:
Sir Isaac, Newton the Nude & Hamlet / Hairless Dogs
Author-Illustrator Edua Elster
Sind Nackthunde eine Qualzucht?
Qualzucht bei Hunden ist im Moment ein sehr hitziges Thema das mir viele schlaflose Nächte bereitet. Viele haben sich über das Verbot von der Zucht der Englischen Bulldogge und des Cavalier King Charles Spaniels in Norwegen gefreut. Ich finde diese Entwicklung bedenklich und nicht zum Wohle der Tiere.
Ohne Frage sind diese beiden Rassen stark belastet und Verbände, Züchter sowie Liebhaber der Rassen haben es versäumt, die Gesundheit in irgend einer Weise zu fördern. Die Belastungstests sind ein Witz, die auch jede Schildkröte bestehen könnte und keine Aussage über die wirkliche Gesundheit des Tieres erbringt. Es gäbe bessere Möglichkeiten, diese jetzt zu erläutern wäre jedoch zu ausschweifend. Gerne kann ich darüber einen anderen Beitrag verfassen.
Jedenfalls ist dieses Verbot der erste Schritt zu weiteren Verboten, denen auch Hunderassen zum Opfer fallen könnten, die weit weg von echter Qualzucht stehen. Generell ist Qualzucht (1) weniger eine Frage der Rasse, sondern vielmehr die Frage von Zucht und Nachfrage. Je mehr Extreme gewünscht werden, umso eher werden sie auch produziert. Hier muss das erste Umdenken stattfinden, um unsere geliebten Rassen zu erhalten, gesund und vital, ohne dessen Probleme schön zu reden. Da gehört gegebenenfalls eine Änderung im Rassestandard genauso dazu, wie die Einkreuzung von Fremdrassen. Auch dies ist ein sehr komplexes Thema, in das ich mich hier nicht vertiefen möchte. Es sollte uns Hundeliebhabern aber allen klar sein, dass ein Verbot zum Anderen führt und am Ende kann jede Rasse betroffen sein, denn in jeder Hunderasse finden sich Qualzuchtmerkmale, wenn man nur gründlich danach sucht. Deswegen ist Zusammenhalt wichtig! Wir müssen aufhören, mit dem Finger aufeinander zu zeigen: „Aber diese Rasse hat dieses Problem und jene Rasse Jenes und deswegen sind die Probleme meiner Rasse irrelevant.“ Das muss endlich aufhören! Keines der Probleme relativiert sich, nur weil andere Rassen auch betroffen sind. Wir lieben Hunde und wir alle bevorzugen bestimmte Eigenarten von Rassehunden und möchten diese auch in Zukunft erhalten. Dafür müssen wir zusammen arbeiten und uns gegenseitig unterstützen!
Hier und jetzt geht es um die Debatte bezüglich haarloser Hunderassen, die aktuell ohne jegliches Hintergrundwissen stigmatisiert werden.
Nackthunde sind keine neumodische Erscheinung. Sie gehören zu den Urhunderassen und existieren in ihrer heutigen Form seit nachweislich über 3500 Jahren (2). Dies belegen archäologische Funde (3). Was ich zusätzlich, während meinen Recherchen erfahren durfte, ist dass das FOXI3 Gen, das in der Kritik steht neben der Haarlosigkeit auch fehlende Zähne zu verursachen, seit ca 20 Millionen Jahren existiert und es Hundeartige gab die genau mit diesem, heute als fehlerhaften angesehenen Gebiss, gelebt haben (4).
Viele Forscher sind der Meinung, dass dieses Gen in der Evolution eine entscheidende Rolle bei der Bezahnung von vielen Säugetierarten, inklusive des Menschen, gespielt hat. Leider wurde bis jetzt zu wenig dazu geforscht und genaue Details sind nur im Zusammenhang mit Mäusen und Frettchen bekannt (4).
Im Grunde genommen sind nackte Urhunde lebende Fossilien, die uns sehr viel über Genetik und Evolution beibringen könnten. Aus Unkenntnis und falscher Tierliebe ziehen aber viele voreilige Schlüsse und wagen es die Natur selbst in Zweifel zu ziehen und sehen Nackthunde als ein menschlich gemachtes Übel an. Dies trifft bei weitem nicht zu, keine Rasse könnte nur und ausschließlich durch menschliche Einflüsse so lange überleben. Bevor diese Rassen in der modernen Hundezucht entdeckt wurden, sind sie beinahe durch den menschlichen Einfluss ausgestorben. Besonders die spanischen Konquistadoren in Mittelamerika wollten die „hässlichen“ Hunde ausrotten, da sie mit ihrer Hässlichkeit böse sein mussten (5). Zum Glück gab es Menschen, die den Wert dieser vergessenen, beinahe ausgerotteten Geschöpfe erkannt haben und sie als nationalen Schatz anerkennen ließen. Hier im Beispiel der Xoloitzcuintle aus Mexico (6) und der Peruvian Inca Orchid in Peru (5)
Wir merken uns hier an diesem Punkt, dass es sich bei den Nackthunden durch FOXI3-Gen- Mutation um antike, mehrere tausend Jahre alte Rassen handelt, die sich selbständig, ohne den Menschen, erhalten konnten, aber beinahe durch den Menschen ausgerottet wurden.
Kommen wir zu den Zähnen. Wir vergleichen ein für uns scheinbar ästhetisch mangelhaftes Gebiss mit anderen Hunderassen mit einem, für uns ästhetischem Gebiss, ohne zu bedenken, das beide Funktional sind und ihren Zweck erfüllen. Wäre dies nicht der Fall, könnten Straßenhunde und verwilderte Hunde der nackten Rassen nicht überleben, was sie aber nachweislich taten (7). Das Selbige trifft auch auf die Vibrissen (Tasthaare) zu, die ausnahmslos bei allen Nackthunderassen vorhanden sind. Deren unmanipulierte Länge ist kein Indiz, um eine Qualzucht zu bestimmen, da ihre genaue Funktion nicht ausreichend erforscht ist (8).
Maßstäbe der Ästhetik haben noch nie zu mehr Gesundheit bei Rassehunden geführt. Daher sollte Ästhetik keinen Stellenwert in der Debatte um Qualzuchten haben. Ein funktionelles Gebiss bleibt funktionell und führt nicht zu vermehrten Schmerzen oder Leid, nur weil diese nicht unserer ästhetischen Vorstellung entspricht. Erfahrungen von Nackthundehaltern zeigen, dass selbst eine Rohfütterung mit Knochen genauso praktikabel ist wie bei anderen Rassen.
Ähnliches Bild für die nackte Haut. Sie weist viele Vorteile auf, besonders im warmen Klima. Ektoparasiten haben kaum Möglichkeiten sich festzusetzen. Die Gefahr für Hautkrebs ist bei pigmentierter Haut nicht höher als bei anderen Rassen. Unpigmentierte Haut (weiß/rosa, weil pigmentlos) kann hingegen zu Problemen führen. Viele Züchter erstreben deswegen ein gutes, dichtes Pigment bei ihren Hunden. Im Rassestandard des Xolo wird festgehalten, dass nicht mehr als kleine, weiße Abzeichen an Brust und Pfoten erlaubt sind (9). Beim PIO oder auch Perro Sin Pelo Del Peru darf sich der Weissanteil am Körper nicht über eine Fläche von 20% ausbreiten, ansonsten führt es zur Disqualifikation (10). Ähnliche Vorschriften sollten meiner Meinung nach bei der Zucht des Chinese Crested Dogs und des American Hairless Terriers auch eingeführt werden.
Die Wundheilung von nackter Haut ist erheblich schneller und unkomplizierter als bei störender Behaarung, dies ist ebenfalls ein evolutionärer Vorteil.
Merken wir uns hier, dass die Funktionalität des Gebisses durch die veränderte Bezahnung nicht erheblich beeinträchtigt wird. Abhängig von der klimatischen Region kann die Haut von nackten Hunden sogar Vorteile gegenüber behaarten Artgenossen aufweisen. Ein gutes Pigment wird bereits bei einigen Rassen züchterisch bevorzugt. Vibrissen sind vorhanden.
Eine weitere Debatte dreht sich um die Letalität des FOXI3-Gens in reinerbiger Form. Es gibt faktisch keine reinerbigen Nackthunde mit dem FOXI3-Gen. Diese werden vermutlich als Fötus im Mutterleib bis zur vierten Lebenswoche absorbiert (11). Eine Geburt eines reinerbigen Hundes konnte noch nicht nachgewiesen werden. Alle Nackthunde mit diesem Gen sind mit nackter Haut mischerbig, somit können zwei nackte auch behaarten Nachwuchs zeugen. Bevor der Erbgang diesbezüglich erforscht wurde, ging man fälschlicherweise von einem rezessiven Gen aus. Bei Experimenten zur Vererbung entdeckte man die dominante Erbweise, sodass auch Kreuzungen mit anderen Rassen zu nackten Individuen führten (4). Behaarte Exemplare der Rasse sind reinerbig für den Wildtyp (normale Behaarung). Das FOXI3-Gen ist bei diesen behaarten Hunden nicht nachweisbar.
Sollten ethische Bedenken bezüglich der Absorption der Föten bestehen, ist dies durch die Verpaarung von behaarten mit nackten Individuen lösbar. Die Verpaarung von einem reinerbigen Wildtyp und einem FOXI3-Genträger kann nicht zu einem reinerbigen FOXI3-Gen Fötus führen.
Wir fassen in diesem Punkt zusammen, dass das Letalgen nicht zu Schmerzen oder Leid bei Hunden führen kann, da diese gar nicht erst geboren werden. Sollten ethische Bedenken wegen der möglichen Resorption von Föten bis zur vierten Lebenswoche bestehen, lässt sich diese durch züchterische Maßnahmen beheben.
Es gibt auch weitere Nackthunderassen, deren Genetik nicht auf das FOXI3-Gen zurückzuführen ist. Nennenswert ist diesbezüglich der American Hairless Terrier, dessen Genetik in der Tat rezessiv ist. Nur reinerbige Exemplare mit dem Gen für Haarlosigkeit werden auch nackt. Ihre Genmutation beeinflusst die Bezahnung nicht, diese unterscheidet sich nicht von ihren behaarten Artgenossen (11). Ebenfalls ist keine letale Wirkung des Gens bekannt. Die Nacktheit entsteht durch eine Mutation auf dem SGK3-Gen (11). Eine Mutation dieses Gens führt unter anderem auch beim Deerhound zu nackten Exemplaren mit ebenfalls vollständiger Bezahnung (12). Leider werden Hunde mit dem Gen aus der Zucht raus selektiert, obwohl es zu keinerlei gesundheitlichen Einschränkungen der Hunde ohne Fell führt. Wieder eine rein ästhetische Entscheidung. Ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass der Mensch ein nackter Primat ist.
Das spontane Auftreten nackter Individuen in verschiedenen Rassen lässt vermuten, dass auch die Mutation des SGK3-Gens schon längere Zeit existiert und keinen menschlichen Einfluss brauchte, um zu entstehen. Beim Rat Terrier wurden durch die Besitzer des ersten dokumentierten nackten Welpen die Vorteile der Haarlosigkeit erkannt und züchterisch so die Mutation erhalten. Auch wenn die ersten Schritte der Zucht auf massiver Inzucht basieren, ist der Genpool des daraus entstandenen American Hairless Terriers, dank höchsten züchterischen Bemühungen, bemerkenswert groß und vital. Hier kann man erkennen, dass eine Zusammenarbeit unter Züchtern, um die Vitalität und Gesundheit der Rasse zu verbessern, durchaus funktionieren kann. Besonders wenn diese durch die Zuchtverbände mit einkreuzen von blutsfremden Hunden erlaubt und unterstützt wird.
Erneut entscheidet gewohnte Ästhetik über die Daseinsberechtigung von gesunden, natürlichen Mutationen. Beim Deerhound gibt es noch keine mutigen Züchter, die zum Auftreten von nackten Individuen in der Rasse stehen (13). Beim American Hairless Terrier sah es anders aus und somit haben wir eine weitere, ganz besondere Rasse, die Jahr für Jahr mehr Liebhaber gewinnt.
Nackthunde überzeugen durch ihre Vitalität, Langlebigkeit und außergewöhnlichen Charakter. Sie mögen exotisch und ungewöhnlich für unsere Augen sein, jedoch bestehen keinerlei Einschränkungen in ihrem Körperbau, die eine Bezeichnung als Qualzucht rechtfertigen könnte. Nur die Willkür von Unwissenden führt dazu, dass wir um unsere geliebten Rassen fürchten müssen. Solltet ihr auch weiterhin der Überzeugung sein, dass Haarlosigkeit für die Hunde eine Einschränkung bedeutet, die nicht vertretbar ist, solltet ihr euch auch im Klaren darüber sein, dass es keine Haustierrasse gibt, die nicht auf irgend eine Weise der Pflege des Menschen bedürften und somit die Daseinsberechtigung verlieren. Dies betrifft alle Hunderassen ausnahmslos. Ich persönlich möchte in keiner Welt ohne Hunde leben.
Hier auf dem Bild ist ersichtlich, dass die hündische Kommunikation ohne Fell kein Problem darstellt. Nackthunde verfügen über eine ausgezeichnete Mimik sowie Körpersprache, die problemlos von sozialisierten Hunden erkannt werden kann. Dieses Foto wurde mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Chaudhry Selina mit ihrem peruanischen Nackthund Hugo.
03.03.2022 von Édua Elster, Facebook: https://www.facebook.com/Author-Illustrator-%C3%89dua-Elster-106221998507868/ , Instagram: https://instagram.com/author_illustrator_edua_elster?utm_medium=copy_link , [email protected]
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Quellenangaben:
1. Bundesamt für Justiz, Tierschutzgesetz §11b, zuletzt geändert am 01.01.2022 https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/__11b.html
2. National Geographic, 22.11.2017, Kristin Romey, This Hairless Mexican Dog Has a Storied, Ancient Past https://www.nationalgeographic.com/history/article/hairless-dog-mexico-xolo-xoloitzcuintli-Aztec
3. Journal of archaeological science. pp. 128-136. ISSN 0305-4403, 2018, Manin and others, Can we identify the Mexican hairless dog in the archaeological record? Morphological and genetical insights from Tizayuca, Basin of Mexico.
https://eprints.whiterose.ac.uk/135572/
4. Scientific reports, 14.07.2017 Kornelius Kupczik and others, The dental phenotype of hairless dogs with FOXI3 haploinsufficiency
https://www.nature.com/articles/s41598-017-05764-5
5. BBC News, 03.09.2019, Megan Janetsky, Masters of the pyramid: The dogs reclaiming their heritage
https://www.bbc.com/news/world-latin-america-49471593
6. Cultura Colectiva, 31.01.2022, María Isabel Carrasco Cara Chards, Xoloitzcuintli: The Ancient Hairless Dogs That Guided The Dead Into The Underworld
https://culturacolectiva.com/history/xoloitzcuintli-ancient-aztec-mexican-hairless-dog/#6
7. SA Expeditions, 20.02.2016, Nick Dall, saved from the brink of extinction: Peruvian Hairless Dog https://www.saexpeditions.com/blog/post/saved-from-the-brink-of-extinction-peruvian-hairless-dog
8. WKO, 17.12.2019, Rudolf Winkelmayer und Regina Binder, Gutachten über das Abschneiden von Vibrissen bei Hunden https://www.wko.at/branchen/k/gewerbe-handwerk/persoenliche-dienstleister/Tasthaare-schneiden-verboten.pdf
9. American Kennel Club, 01.01.2009, Official Standard of the Xoloitzcuintli
https://images.akc.org/pdf/breeds/standards/Xoloitzcuintli.pdf
10. Federation Cynologique Internationale, 26.10.2021, FCI-Standard N° 310, Perro Sin Pelo Del Perú (Peruvian hairless dog)
http://www.fci.be/nomenclature/standards/310g05-en.pdf#11
11. The Royal Society Publishing, 05.02.2017, Heidi G. Parker and others, The bald and the beautiful: hairlessness in domestic dog breeds
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rstb.2015.0488
12. GSA G3 Genes/Genomes/Genetics, Volume 10, Issue 1, 01.01.2020, Heidi G. Parker and others, Whole Genome Analysis of a Single Scottish Deerhound Dog Family Provides Independent Corraboration That a SGK3 Coding Variant Leads to Hairlessnes
https://academic.oup.com/g3journal/article/10/1/293/6020298
13. Image source: Reddit, 2020, A hairless Scottish Deerhound, circa 1940´s https://www.reddit.com/r/interestingasfuck/comments/cwsuak/a_hairless_scottish_deerhound_circa_1940s/
14. Image source: Nils Jöhnk , 2022 https://www.facebook.com/nils.johnk.1
#Qualzucht #PeruanischerNackthund #ChineseCrested #ChinesischerSchopfhund #PeruvianHairlessDog #PeruvianIncaOrchidDog #HairlessDog #NacktHund #AmericanHairlessTerrier #Xolo #Xoloitzcuintle
Qualzucht bei Hunden ist im Moment ein sehr hitziges Thema das mir viele schlaflose Nächte bereitet. Viele haben sich über das Verbot von der Zucht der Englischen Bulldogge und des Cavalier King Charles Spaniels in Norwegen gefreut. Ich finde diese Entwicklung bedenklich und nicht zum Wohle der Tiere.
Ohne Frage sind diese beiden Rassen stark belastet und Verbände, Züchter sowie Liebhaber der Rassen haben es versäumt, die Gesundheit in irgend einer Weise zu fördern. Die Belastungstests sind ein Witz, die auch jede Schildkröte bestehen könnte und keine Aussage über die wirkliche Gesundheit des Tieres erbringt. Es gäbe bessere Möglichkeiten, diese jetzt zu erläutern wäre jedoch zu ausschweifend. Gerne kann ich darüber einen anderen Beitrag verfassen.
Jedenfalls ist dieses Verbot der erste Schritt zu weiteren Verboten, denen auch Hunderassen zum Opfer fallen könnten, die weit weg von echter Qualzucht stehen. Generell ist Qualzucht (1) weniger eine Frage der Rasse, sondern vielmehr die Frage von Zucht und Nachfrage. Je mehr Extreme gewünscht werden, umso eher werden sie auch produziert. Hier muss das erste Umdenken stattfinden, um unsere geliebten Rassen zu erhalten, gesund und vital, ohne dessen Probleme schön zu reden. Da gehört gegebenenfalls eine Änderung im Rassestandard genauso dazu, wie die Einkreuzung von Fremdrassen. Auch dies ist ein sehr komplexes Thema, in das ich mich hier nicht vertiefen möchte. Es sollte uns Hundeliebhabern aber allen klar sein, dass ein Verbot zum Anderen führt und am Ende kann jede Rasse betroffen sein, denn in jeder Hunderasse finden sich Qualzuchtmerkmale, wenn man nur gründlich danach sucht. Deswegen ist Zusammenhalt wichtig! Wir müssen aufhören, mit dem Finger aufeinander zu zeigen: „Aber diese Rasse hat dieses Problem und jene Rasse Jenes und deswegen sind die Probleme meiner Rasse irrelevant.“ Das muss endlich aufhören! Keines der Probleme relativiert sich, nur weil andere Rassen auch betroffen sind. Wir lieben Hunde und wir alle bevorzugen bestimmte Eigenarten von Rassehunden und möchten diese auch in Zukunft erhalten. Dafür müssen wir zusammen arbeiten und uns gegenseitig unterstützen!
Hier und jetzt geht es um die Debatte bezüglich haarloser Hunderassen, die aktuell ohne jegliches Hintergrundwissen stigmatisiert werden.
Nackthunde sind keine neumodische Erscheinung. Sie gehören zu den Urhunderassen und existieren in ihrer heutigen Form seit nachweislich über 3500 Jahren (2). Dies belegen archäologische Funde (3). Was ich zusätzlich, während meinen Recherchen erfahren durfte, ist dass das FOXI3 Gen, das in der Kritik steht neben der Haarlosigkeit auch fehlende Zähne zu verursachen, seit ca 20 Millionen Jahren existiert und es Hundeartige gab die genau mit diesem, heute als fehlerhaften angesehenen Gebiss, gelebt haben (4).
Viele Forscher sind der Meinung, dass dieses Gen in der Evolution eine entscheidende Rolle bei der Bezahnung von vielen Säugetierarten, inklusive des Menschen, gespielt hat. Leider wurde bis jetzt zu wenig dazu geforscht und genaue Details sind nur im Zusammenhang mit Mäusen und Frettchen bekannt (4).
Im Grunde genommen sind nackte Urhunde lebende Fossilien, die uns sehr viel über Genetik und Evolution beibringen könnten. Aus Unkenntnis und falscher Tierliebe ziehen aber viele voreilige Schlüsse und wagen es die Natur selbst in Zweifel zu ziehen und sehen Nackthunde als ein menschlich gemachtes Übel an. Dies trifft bei weitem nicht zu, keine Rasse könnte nur und ausschließlich durch menschliche Einflüsse so lange überleben. Bevor diese Rassen in der modernen Hundezucht entdeckt wurden, sind sie beinahe durch den menschlichen Einfluss ausgestorben. Besonders die spanischen Konquistadoren in Mittelamerika wollten die „hässlichen“ Hunde ausrotten, da sie mit ihrer Hässlichkeit böse sein mussten (5). Zum Glück gab es Menschen, die den Wert dieser vergessenen, beinahe ausgerotteten Geschöpfe erkannt haben und sie als nationalen Schatz anerkennen ließen. Hier im Beispiel der Xoloitzcuintle aus Mexico (6) und der Peruvian Inca Orchid in Peru (5)
Wir merken uns hier an diesem Punkt, dass es sich bei den Nackthunden durch FOXI3-Gen- Mutation um antike, mehrere tausend Jahre alte Rassen handelt, die sich selbständig, ohne den Menschen, erhalten konnten, aber beinahe durch den Menschen ausgerottet wurden.
Kommen wir zu den Zähnen. Wir vergleichen ein für uns scheinbar ästhetisch mangelhaftes Gebiss mit anderen Hunderassen mit einem, für uns ästhetischem Gebiss, ohne zu bedenken, das beide Funktional sind und ihren Zweck erfüllen. Wäre dies nicht der Fall, könnten Straßenhunde und verwilderte Hunde der nackten Rassen nicht überleben, was sie aber nachweislich taten (7). Das Selbige trifft auch auf die Vibrissen (Tasthaare) zu, die ausnahmslos bei allen Nackthunderassen vorhanden sind. Deren unmanipulierte Länge ist kein Indiz, um eine Qualzucht zu bestimmen, da ihre genaue Funktion nicht ausreichend erforscht ist (8).
Maßstäbe der Ästhetik haben noch nie zu mehr Gesundheit bei Rassehunden geführt. Daher sollte Ästhetik keinen Stellenwert in der Debatte um Qualzuchten haben. Ein funktionelles Gebiss bleibt funktionell und führt nicht zu vermehrten Schmerzen oder Leid, nur weil diese nicht unserer ästhetischen Vorstellung entspricht. Erfahrungen von Nackthundehaltern zeigen, dass selbst eine Rohfütterung mit Knochen genauso praktikabel ist wie bei anderen Rassen.
Ähnliches Bild für die nackte Haut. Sie weist viele Vorteile auf, besonders im warmen Klima. Ektoparasiten haben kaum Möglichkeiten sich festzusetzen. Die Gefahr für Hautkrebs ist bei pigmentierter Haut nicht höher als bei anderen Rassen. Unpigmentierte Haut (weiß/rosa, weil pigmentlos) kann hingegen zu Problemen führen. Viele Züchter erstreben deswegen ein gutes, dichtes Pigment bei ihren Hunden. Im Rassestandard des Xolo wird festgehalten, dass nicht mehr als kleine, weiße Abzeichen an Brust und Pfoten erlaubt sind (9). Beim PIO oder auch Perro Sin Pelo Del Peru darf sich der Weissanteil am Körper nicht über eine Fläche von 20% ausbreiten, ansonsten führt es zur Disqualifikation (10). Ähnliche Vorschriften sollten meiner Meinung nach bei der Zucht des Chinese Crested Dogs und des American Hairless Terriers auch eingeführt werden.
Die Wundheilung von nackter Haut ist erheblich schneller und unkomplizierter als bei störender Behaarung, dies ist ebenfalls ein evolutionärer Vorteil.
Merken wir uns hier, dass die Funktionalität des Gebisses durch die veränderte Bezahnung nicht erheblich beeinträchtigt wird. Abhängig von der klimatischen Region kann die Haut von nackten Hunden sogar Vorteile gegenüber behaarten Artgenossen aufweisen. Ein gutes Pigment wird bereits bei einigen Rassen züchterisch bevorzugt. Vibrissen sind vorhanden.
Eine weitere Debatte dreht sich um die Letalität des FOXI3-Gens in reinerbiger Form. Es gibt faktisch keine reinerbigen Nackthunde mit dem FOXI3-Gen. Diese werden vermutlich als Fötus im Mutterleib bis zur vierten Lebenswoche absorbiert (11). Eine Geburt eines reinerbigen Hundes konnte noch nicht nachgewiesen werden. Alle Nackthunde mit diesem Gen sind mit nackter Haut mischerbig, somit können zwei nackte auch behaarten Nachwuchs zeugen. Bevor der Erbgang diesbezüglich erforscht wurde, ging man fälschlicherweise von einem rezessiven Gen aus. Bei Experimenten zur Vererbung entdeckte man die dominante Erbweise, sodass auch Kreuzungen mit anderen Rassen zu nackten Individuen führten (4). Behaarte Exemplare der Rasse sind reinerbig für den Wildtyp (normale Behaarung). Das FOXI3-Gen ist bei diesen behaarten Hunden nicht nachweisbar.
Sollten ethische Bedenken bezüglich der Absorption der Föten bestehen, ist dies durch die Verpaarung von behaarten mit nackten Individuen lösbar. Die Verpaarung von einem reinerbigen Wildtyp und einem FOXI3-Genträger kann nicht zu einem reinerbigen FOXI3-Gen Fötus führen.
Wir fassen in diesem Punkt zusammen, dass das Letalgen nicht zu Schmerzen oder Leid bei Hunden führen kann, da diese gar nicht erst geboren werden. Sollten ethische Bedenken wegen der möglichen Resorption von Föten bis zur vierten Lebenswoche bestehen, lässt sich diese durch züchterische Maßnahmen beheben.
Es gibt auch weitere Nackthunderassen, deren Genetik nicht auf das FOXI3-Gen zurückzuführen ist. Nennenswert ist diesbezüglich der American Hairless Terrier, dessen Genetik in der Tat rezessiv ist. Nur reinerbige Exemplare mit dem Gen für Haarlosigkeit werden auch nackt. Ihre Genmutation beeinflusst die Bezahnung nicht, diese unterscheidet sich nicht von ihren behaarten Artgenossen (11). Ebenfalls ist keine letale Wirkung des Gens bekannt. Die Nacktheit entsteht durch eine Mutation auf dem SGK3-Gen (11). Eine Mutation dieses Gens führt unter anderem auch beim Deerhound zu nackten Exemplaren mit ebenfalls vollständiger Bezahnung (12). Leider werden Hunde mit dem Gen aus der Zucht raus selektiert, obwohl es zu keinerlei gesundheitlichen Einschränkungen der Hunde ohne Fell führt. Wieder eine rein ästhetische Entscheidung. Ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass der Mensch ein nackter Primat ist.
Das spontane Auftreten nackter Individuen in verschiedenen Rassen lässt vermuten, dass auch die Mutation des SGK3-Gens schon längere Zeit existiert und keinen menschlichen Einfluss brauchte, um zu entstehen. Beim Rat Terrier wurden durch die Besitzer des ersten dokumentierten nackten Welpen die Vorteile der Haarlosigkeit erkannt und züchterisch so die Mutation erhalten. Auch wenn die ersten Schritte der Zucht auf massiver Inzucht basieren, ist der Genpool des daraus entstandenen American Hairless Terriers, dank höchsten züchterischen Bemühungen, bemerkenswert groß und vital. Hier kann man erkennen, dass eine Zusammenarbeit unter Züchtern, um die Vitalität und Gesundheit der Rasse zu verbessern, durchaus funktionieren kann. Besonders wenn diese durch die Zuchtverbände mit einkreuzen von blutsfremden Hunden erlaubt und unterstützt wird.
Erneut entscheidet gewohnte Ästhetik über die Daseinsberechtigung von gesunden, natürlichen Mutationen. Beim Deerhound gibt es noch keine mutigen Züchter, die zum Auftreten von nackten Individuen in der Rasse stehen (13). Beim American Hairless Terrier sah es anders aus und somit haben wir eine weitere, ganz besondere Rasse, die Jahr für Jahr mehr Liebhaber gewinnt.
Nackthunde überzeugen durch ihre Vitalität, Langlebigkeit und außergewöhnlichen Charakter. Sie mögen exotisch und ungewöhnlich für unsere Augen sein, jedoch bestehen keinerlei Einschränkungen in ihrem Körperbau, die eine Bezeichnung als Qualzucht rechtfertigen könnte. Nur die Willkür von Unwissenden führt dazu, dass wir um unsere geliebten Rassen fürchten müssen. Solltet ihr auch weiterhin der Überzeugung sein, dass Haarlosigkeit für die Hunde eine Einschränkung bedeutet, die nicht vertretbar ist, solltet ihr euch auch im Klaren darüber sein, dass es keine Haustierrasse gibt, die nicht auf irgend eine Weise der Pflege des Menschen bedürften und somit die Daseinsberechtigung verlieren. Dies betrifft alle Hunderassen ausnahmslos. Ich persönlich möchte in keiner Welt ohne Hunde leben.
Hier auf dem Bild ist ersichtlich, dass die hündische Kommunikation ohne Fell kein Problem darstellt. Nackthunde verfügen über eine ausgezeichnete Mimik sowie Körpersprache, die problemlos von sozialisierten Hunden erkannt werden kann. Dieses Foto wurde mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Chaudhry Selina mit ihrem peruanischen Nackthund Hugo.
03.03.2022 von Édua Elster, Facebook: https://www.facebook.com/Author-Illustrator-%C3%89dua-Elster-106221998507868/ , Instagram: https://instagram.com/author_illustrator_edua_elster?utm_medium=copy_link , [email protected]
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Quellenangaben:
1. Bundesamt für Justiz, Tierschutzgesetz §11b, zuletzt geändert am 01.01.2022 https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/__11b.html
2. National Geographic, 22.11.2017, Kristin Romey, This Hairless Mexican Dog Has a Storied, Ancient Past https://www.nationalgeographic.com/history/article/hairless-dog-mexico-xolo-xoloitzcuintli-Aztec
3. Journal of archaeological science. pp. 128-136. ISSN 0305-4403, 2018, Manin and others, Can we identify the Mexican hairless dog in the archaeological record? Morphological and genetical insights from Tizayuca, Basin of Mexico.
https://eprints.whiterose.ac.uk/135572/
4. Scientific reports, 14.07.2017 Kornelius Kupczik and others, The dental phenotype of hairless dogs with FOXI3 haploinsufficiency
https://www.nature.com/articles/s41598-017-05764-5
5. BBC News, 03.09.2019, Megan Janetsky, Masters of the pyramid: The dogs reclaiming their heritage
https://www.bbc.com/news/world-latin-america-49471593
6. Cultura Colectiva, 31.01.2022, María Isabel Carrasco Cara Chards, Xoloitzcuintli: The Ancient Hairless Dogs That Guided The Dead Into The Underworld
https://culturacolectiva.com/history/xoloitzcuintli-ancient-aztec-mexican-hairless-dog/#6
7. SA Expeditions, 20.02.2016, Nick Dall, saved from the brink of extinction: Peruvian Hairless Dog https://www.saexpeditions.com/blog/post/saved-from-the-brink-of-extinction-peruvian-hairless-dog
8. WKO, 17.12.2019, Rudolf Winkelmayer und Regina Binder, Gutachten über das Abschneiden von Vibrissen bei Hunden https://www.wko.at/branchen/k/gewerbe-handwerk/persoenliche-dienstleister/Tasthaare-schneiden-verboten.pdf
9. American Kennel Club, 01.01.2009, Official Standard of the Xoloitzcuintli
https://images.akc.org/pdf/breeds/standards/Xoloitzcuintli.pdf
10. Federation Cynologique Internationale, 26.10.2021, FCI-Standard N° 310, Perro Sin Pelo Del Perú (Peruvian hairless dog)
http://www.fci.be/nomenclature/standards/310g05-en.pdf#11
11. The Royal Society Publishing, 05.02.2017, Heidi G. Parker and others, The bald and the beautiful: hairlessness in domestic dog breeds
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rstb.2015.0488
12. GSA G3 Genes/Genomes/Genetics, Volume 10, Issue 1, 01.01.2020, Heidi G. Parker and others, Whole Genome Analysis of a Single Scottish Deerhound Dog Family Provides Independent Corraboration That a SGK3 Coding Variant Leads to Hairlessnes
https://academic.oup.com/g3journal/article/10/1/293/6020298
13. Image source: Reddit, 2020, A hairless Scottish Deerhound, circa 1940´s https://www.reddit.com/r/interestingasfuck/comments/cwsuak/a_hairless_scottish_deerhound_circa_1940s/
14. Image source: Nils Jöhnk , 2022 https://www.facebook.com/nils.johnk.1
#Qualzucht #PeruanischerNackthund #ChineseCrested #ChinesischerSchopfhund #PeruvianHairlessDog #PeruvianIncaOrchidDog #HairlessDog #NacktHund #AmericanHairlessTerrier #Xolo #Xoloitzcuintle